„Reha-Maßnahmen sind eine Investition gegen den Fachkräftemangel“
DEGEMED im Dialog mit Pascal Kober, MdB, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Arbeit und Soziales der FDP-Bundestagsfraktion.
DEGEMED: Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich dafür eingesetzt, dass ein Teil der Einnahmen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zukünftig über Kapitalanlagen finanziert wird. Können Sie dieses neue Finanzierungsinstrument kurz darstellen?
Pascal Kober: Das Generationenkapital ist eine echte Neuerung in der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Bisher finanziert sich die Rentenversicherung über die Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlen und über Steuerzuschüsse. Der Steuerzuschuss macht mit über 112 Mrd. Euro schon in diesem Jahr fast ein Viertel des gesamten Bundeshaushaltes aus. Und trotzdem gerät das System mit sinkenden Beitragszahlern und steigenden Ausgaben unter Druck. Ändern wir nichts an der Finanzierung, drohen Beitragserhöhungen.
Daher brauchen wir eine zusätzliche Form der Finanzierung. Hier bieten Kapitalanlagen die besten Chancen. Schauen wir nach Norwegen: Der Pensionsfonds dort hat im ersten halben Jahr einen Gewinn von 130 Mrd. Euro gemacht. Trotz Rekordverlust im vergangenen Jahr steigt so der Wert des Fonds auf 1,3 Billionen Euro. Auch der schwedische Fonds ist mit einer durchschnittlichen Rendite von 15 Prozent äußerst profitabel. Zum Vergleich: Die Rendite in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt zwischen 2,9 und 3,6 Prozent.
Das Generationenkapital soll für den Start mit 10 Milliarden Euro ausgestattet werden. Bereits nächstes Jahr sollen 12 Milliarden Euro einfließen. Geplant ist, dass es zukünftig jedes Jahr 3 Prozent mehr werden. Bis 2035 soll so ein Volumen von 200 Mrd. Euro erreicht werden. Die Rendite des angelegten Geldes fließt dann in die gesetzliche Rentenversicherung. Das Geld wird vom sogenannten Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) in Aktien angelegt. Der KENFO ist der erste deutsche Staatsfonds und verwaltet rund 24 Milliarden Euro, mit denen den Atomausstieg finanzieren wird.
Das Generationenkapital sehen wir als ersten Schritt zu einer Aktienrente, wie es sie in Schweden gibt. Dort zahlen Arbeitnehmer zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens in einen selbst gewählten Fonds ein. Als FDP wollen wir das Generationenkapital zu einer Aktienrente wie in Schweden weiterentwickeln. Langfristig sorgen wir so dafür, dass die Finanzen der Rentenversicherung stabil bleiben.
DEGEMED: Wenn Sie die Einnahmen der Rentenversicherung durch das Generationenkapital von der Bruttolohnentwicklung abkoppeln, werden Sie dann auch die Ausgaben der DRV flexibler am Bedarf ausrichten und das Reha-Budget der DRV aufheben?
Kober: Das Generationenkapital führt nicht dazu, dass die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung von der Bruttolohnentwicklung abgekoppelt werden. Es handelt sich um eine Ergänzung. Es bleibt beim paritätischen Modell, bei dem der Arbeitgeber einen Teil des Bruttoeinkommens als Rentenbeiträge zahlt und den anderen Teil der Arbeitnehmer. Selbst beim weiterentwickelten Modell der Aktienrente wären die Einnahmen der Rentenversicherung ganz maßgeblich von der Lohnentwicklung abhängig, da ja auch hier prozentual vom Bruttoeinkommen eingezahlt wird.
Ganz unabhängig davon halten wir als FDP jedoch die Aufhebung des Deckels, mindestens aber mehr Flexibilität beim Reha-Budget für notwendig. Denn das Reha-Budget richtet sich nicht nach dem tatsächlichen Bedarf, sondern anhand der Bruttolohnentwicklung der Arbeitnehmer. Aus Sicht der FDP ist eine Deckelung nicht mehr zeitgemäß. Die Deutsche Rentenversicherung muss zu modernen Steuerungsmechanismen kommen, die sich am Rehabilitationsbedarf und der Rehabilitationsprognose richten. Dabei muss auch berücksichtig werden, dass Reha nicht als letztes Mittel der Wahl gesehen werden darf. An eine Reha denken wir häufig erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dabei bietet gerade die Reha auch gute Möglichkeiten zur Gesundheitsprävention. Dieser Gedanke muss sich auch im Reha-Budget wiederfinden.
Inzwischen sind fast 20 Prozent aller Neurentnerinnen und Neurentner Personen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Diese Menschen steigen aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt aus. Dabei sind gerade die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Unternehmen wertvoll aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung.
Nur die Hälfte der Personen mit Erwerbsminderungsrente bekommt zuvor eine medizinische Rehabilitation angeboten. Dabei verhindern Reha-Maßnahmen vorzeitige Renteneintritte. 85 Prozent der Menschen, die nach Beantragen einer Erwerbsminderungsrente, eine Reha-Maßnahme durchlaufen, sind zwei Jahre danach immer noch erwerbstätig.
Reha-Maßnahmen sind eine Investition gegen den Fachkräftemangel. Mit Ausgaben für Reha-Maßnahmen werden Ausgaben bei der Erwerbsminderungsrente vermieden. Neben der Flexibilisierung des Reha-Budgets müssen wir aber auch den Zugang erleichtern. Hierfür müssen die Antragsverfahren vereinfacht werden. Um die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zukünftig noch erfolgreicher zu machen, müssen außerdem Bedarfe frühzeitig erkannt werden. Häufig werden die Krankenkassen jedoch erst nach sechswöchigem Ausfall tätig, da in dieser Zeit die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber erfolgt.
Es sind also mehrere Stellschrauben, an denen wir ansetzen müssen, um das ganze Potenzial von Reha zu nutzen.
DEGEMED: Rehabilitation soll stärker Teil der Arbeitsmarkpolitik werden. Für die Umsetzung dieses Zieles will die Regierungskoalition einen Aktionsplan „Gesunde Arbeit“ ins Leben rufen. Wie konkret sind die Arbeiten an diesem Plan vorangeschritten und welche Aufgaben kommen in der Folge auf Reha-Einrichtungen zu?
Kober: Die Idee des Aktionsplans „Gesunde Arbeit“, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hat zum Ziel, dass der Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente“ gestärkt wird. Der Aktionsplan ist Teil des im Bundesministerium für Arbeit und Soziales konzipierten Programms „Arbeit: sicher + gesund“. Unter diesem Titel finden mehrere Stakeholder-Dialoge zu unterschiedlichen Themenbereichen statt, an denen Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern teilnehmen. Die bisher bekannten Themen sind mobile Arbeit, Klimawandel, Basisarbeit und psychische Gesundheit. Zum Teil haben schon einige Austauschforen stattgefunden, zum Teil laufen sie auch noch oder sind erst in der Konzeption. Aktuell liegt noch zu keinem Themengebiet ein Abschlussbericht vor. Daher bleibt abzuwarten, welche Impulse von den Foren für die Reha-Einrichtungen konkret ausgehen werden.
DEGEMED: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitet an einem Tariftreuegesetz. Halten Sie es für denkbar, dass dies auch für Reha-Einrichtungen gelten wird und halten Sie verpflichtende Tarifbindungen für Unternehmen für sinnvoll?
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche binden wollen.
Gleichzeitig soll das Vergaberecht reformiert werden. Aktuell warten wir noch auf einen entsprechenden, gemeinsamen Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium und dem Bundeswirtschafsministerium. Eine öffentliche Konsultation beider Ministerien fand bereits Ende 2022 statt.
Im Koalitionsvertrag haben wir bereits vereinbart, dass die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruhen soll. Was die weitere Ausgestaltung betrifft, so müssen wir den Gesetzentwurf abwarten.
Das Bundestariftreuegesetz ist ein besonderes Anliegen unseres Koalitionspartners. Eine Koalition besteht immer in der Findung von Kompromissen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir die Erhöhung der Tarifbindung über gesetzliche Maßnahmen nicht für notwendig halten. Die Idee, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Grundlagen ihrer Zusammenarbeit eigenverantwortlich verhandeln, unterstütze ich durch und durch. Was nicht passieren darf, ist, dass wir gegen die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit verstoßen. Jeder hat das Recht, einer Vereinigung beizutreten. Das bedeutet auch, dass jeder das Recht hat, dies nicht zu tun. Diese Entscheidung müssen wir respektieren. Anders als unsere Koalitionspartner setzen wir das Nicht-Vorliegen eines Tarifvertrags nicht mit schlechten Arbeitsbedingungen gleich.
Das Gespräch führte Vera Knieps.
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Foto: Pascal Kober ist Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Reutlingen, stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg und Mitglied im Bundesvorstand.